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Rückblick zum Vierten Branchentreff Literatur

Der Vierte Branchentreff Literatur fand vom 19. bis 21. Juni statt, zum ersten Mal komplett und ausschließlich in digitaler Form. Über 150 Autor*innen, Übersetzer*innen, Lektor*innen, Veranstalter*innen und andere Literatur-Freelancer kamen drei Tage lang per Zoom für Vorträge, Workshops, Diskussionen und Q&As zusammen. Unsere Praktikantin Selma Rezgui wirft noch einmal einen Blick zurück auf das digitale Zusammentreffen.

„Literatur viral“ war das Thema des diesjährigen Branchentreffs, „Wie geht es weiter nach Corona?“, wollten wir diskutieren. Denn die Krise hatte gerade für die Literaturszene zentrale Fragen noch einmal mit neuer Dringlichkeit gestellt: Wie digital muss die Branche werden? Funktionieren die alten Modelle von Solo-Selbstständigkeit eigentlich noch? Und wie können wir den gesamten Literaturbetrieb nachhaltiger – also auch diverser, sozialer, barrierefreier – gestalten?

Aufgrund der Entscheidung, den Branchentreff digital stattfinden zu lassen, mussten sich Team und Referent*innen auch selbst in der ganz praktischen Vorbereitung mit vielen neuen Fragen auseinandersetzen.

Eine digitale Veranstaltung zu organisieren war dabei für die meisten von uns eine neue Erfahrung. Denn beim Branchentreff Literatur ging es in den Jahren zuvor auch immer um das Zusammenkommen der verschiedenen Literaturschaffenden, den Austausch vor Ort und die spontanen Vernetzungen, die dort entstehen.

Lange war unklar, wie genau das Virus die Veranstaltung selbst beeinflussen und ob die Veranstaltung zumindest teilweise im tak Theater Aufbau Kreuzberg oder komplett digital stattfinden würde. Die letztendliche Entscheidung, das Programm komplett digital durchzuführen, aber zentral aus dem tak zu streamen, ermöglichte einerseits stabile technische Rahmenbedingungen, andererseits ein Experimentierfeld: Denn eine der zentralen Fragen des Branchentreffs war gerade die nach der Digitalisierung von Literaturangeboten. Wie können Lesungen, Schreibwerkstätten, Literatur-Performances und andere Formate digital funktionieren? Es war eine Gelegenheit, damit zu experimentieren, welche Formate man dafür braucht, welche Tools und Techniken sich bewähren und wie Literaturveranstaltungen im dritten Jahrzehnt aussehen könnten. Selbst wenn nach Corona physische Versammlungen wieder möglich werden, hat diese Zeit einen Impuls für Kreativität und Innovation gesetzt. Im Literaturbereich bedeutet das, neue Publikumsschichten erreichen zu können, eine Szene, die diverser aussieht, in der manche Barrieren vielleicht durch die Digitalisierung beseitigt werden können.

Eine erste Erkenntnis war, dass der Vierte Branchentreff, indem er Online stattgefunden hat, wesentlich barriereärmer, als Präsenzveranstaltungen war. Es konnten Literaturschaffende teilnehmen, die außerhalb Berlins, sogar außerhalb Deutschlands leben – alles was man benötigte, war ein Internetanschluss und nach einer kurzen Anmeldung per Mail oder Web-Formular war man mitten dabei.

Ein Highlight des Freitags war sicherlich die abendliche Diskussion „Vom Segen der sensiblen Sprache“, von Johanna Faltinat und Leticia Milano vom Büro für vielfältiges Erzählen. Hier ging es um Diversität im Schreiben und die Möglichkeiten, die sensible Sprache für diskriminierungsfreies Erzählen bietet. Es wurde schnell deutlich, dass viele weiße Autor*innen teilweise zum ersten Mal damit konfrontiert wurden, dass sie weiß sind (und dass weiß nicht gleich „neutral“ ist). Was diese Erkenntnis für ihr Schreiben bedeutet und wie sie sensibler und inklusiver vorgehen können, wurde dann intensiv diskutiert. Die Auswirkungen von Bildung, Schicht und Alter wurden ebenfalls in die Diskussion einbezogen, die nicht vor Widerspruch und Komplexität zurückscheute.

Am letzten Tag des Branchentreffs wurde ein erleichterter Zugang in den Literaturbetrieb durch ein bedingungsloses Grundeinkommen von Lena Tietgen und Ronald Blaschke vorgestellt. Der Vorteil: Eine Verringerung des finanziellen Risikos, das mit einer freien kreativen Arbeit assoziiert ist, grenzt weniger Menschen aus. Künstler*innen und Literaturschaffenden würde ein solches Modell mehr Freiheit und Sicherheit geben. Tietgen und Blaschke gaben eine Einleitung in das Konzept und leiteten eine darauffolgende Diskussion. Es war ein faszinierender Impuls. Gerade während die Kreativwirtschaft von der Coronakrise verunsichert ist, ist ein existenzsicherndes Grundeinkommen ein wichtiges und spannendes Konzept. Der Austausch unter den Teilnehmer*innen zeigte, dass das BGE nicht nur eine Utopie ist, sondern ein realisierbares Modell.

Das waren nur einige Aspekte des Vierten Branchentreffs Literatur. Insgesamt kamen sehr viele und sehr verschiedene Positionen zusammen: Es ging um mögliche Zukunftsszenarien und um das, was schon im Hier und Jetzt durchführbar ist. Trotz der „räumlich distanzierten“ Veranstaltungsformate kam es in fast jeder Session zu angeregten Diskussionen. Es kamen viele und vielfältige Stimmen zu Wort und es wurde ein ebenso vielfältiges wie volles Wochenende.

Foto: Melanie Hauke

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