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„Und vor allem: Schreib!“

In dieser Interview-Reihe stellen wir literarische Freelancer vor. Egal ob Autor*in, Übersetzer*in, Lektor*in oder Veranstalter*in: Jede*r hat seinen*ihren eigenen Weg in die Selbstständigkeit gefunden. Wie war das bei dir, Lubi Barre? [vc_column width=“5/6″] Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview wurde aus dem Englischen übersetzt. Klicke hier, um das ursprüngliche Interview zu lesen.

Stell dich kurz vor! Wer bist und was arbeitest du im Literaturbetrieb?

Ich bin eine Autorin, die Kurzgeschichten und lyrische Texte verfasst, und zudem auch kuratiert und moderiert. Zusammen mit Jonis Hartmann und Sasha Preiss kuratiere ich die unabhängige Lesereihe AHAB. Erst neulich habe ich die Konferenz „Breaking the Canon: Konferenz zur Kanonzerstörung“ mitkuratiert, die von Kampnagel organisiert wurde. Derzeit bin ich Co-Kuratorin für Fluctoplasma. Ein diverses, multidisziplinäres Festival, welches in Hamburg stattfindet. Vier Tage voller Kunst, Diskurs und Diversität. Das Festival erfüllt mich mit Stolz, da es insbesondere die Menschen unserer Gesellschaft repräsentiert, die in der Kunst unterrepräsentiert sind. Ich habe oftmals den Eindruck, dass diese Stadt sie für Diversitätskampagnen und Marketing ausnutzt, aber nichts für sie tut. Fluctoplasma setzt hier an und hebt die lebhaften, boomenden und außergewöhnlichen Individuen sowie Kollektive unserer Stadt mit den verschiedensten Hintergründen hervor und dabei ist besonders wichtig, dass das Festival von People of Color gegründet wurde. Fluctoplasma geht es um Inklusion. Darum, alle in Hamburg zusammenzubringen, um sich auszutauschen.

Was war für dich beim Berufseinstieg die größte Herausforderung?

Über dieses Thema spreche ich oft und in den acht Jahren, in denen ich hier lebe, habe ich viele Erfahrungen sammeln und viel beobachten können. Als englischsprachige Autorin, die in Deutschland lebt, war ich automatisch aus der Literaturszene in Hamburg ausgeschlossen. Hamburg muss ich so betonen, weil ich weiß, dass es in Berlin diesbezüglich anders aussieht. Weder konnte ich Deutsch noch habe ich auf Deutsch geschrieben. Dementsprechend war der Zugang zu der Szene etwas, was ich bewusst ausfindig machen musste und es erforderte Einsatz, Belastbarkeit, Geduld sowie den Glauben, dass es passieren würde, obwohl ich es bislang nicht sehen konnte. Du brauchst eine Art blinden Ehrgeiz, welcher dich durch die vielen fest verschlossenen Türen bringt, an die du gerätst, und einen Einfallsreichtum, welcher es dir ermöglicht, die Sprachbarriere zu umgehen, die in diesem Land dazu genutzt wird, diejenigen auszuschließen, die die Sprache nicht beherrschen. Insbesondere als Autor*in kann dies schwer sein, denn es bedeutet, dass man aus seiner Komfortzone austreten muss. Man muss lernen, für sich selbst einzutreten, denn man hat nicht den Luxus nur seiner Arbeit nachzugehen, nicht, wenn man arbeitende*r Autor*in in Deutschland sein will. Man braucht auch etwas Glück und in meinem Fall kam das Glück in Form von Jonis Hartmann. Es stimmt, die harte Arbeit, die mich schließlich dazu geführt hat, ihn zu treffen, habe ich vollbracht, aber er hat mir die Tür zu der Literaturszene in Hamburg geöffnet und dafür werde ich ihm für immer dankbar sein. Dennoch bin ich meist eine der wenigen Autor*innen, die auf Englisch oder einer anderen Sprache außer Deutsch schreiben. Deshalb hebe ich, bei allem was ich tue, dieses Problem hervor und versuche so viele Türen wie möglich zu öffnen, um den Kanon zu verändern, der Leute wie mich ausschließt. Die Literatur in Deutschland kann von vielfältigen Stimmen und Sprachen nur profitieren. Außerdem verdienen es Autor*innen, die nicht auf Deutsch schreiben, in ihrer Sprache schreiben zu können und einen Zugang zu denselben finanziellen Möglichkeiten zu haben sowie Orte zu haben, an denen sie ihre Arbeit teilen können. Warum sollten wir nicht miteinbezogen werden, um unsere Arbeit fortzuführen, um Teil des kulturellen Diskurses zu sein und eine Stimme in dem Land zu haben, welches wir unser Zuhause nennen?

Was war die wichtigste Erkenntnis deiner bisherigen beruflichen Laufbahn?

Alles was wir tun, besteht aus einer Summe von Entscheidungen und Erfahrungen. In den verschiedenen Phasen, die ich als Autorin hatte, gab es viele Erkenntnisse und es wird auch noch viele weitere geben. In letzter Zeit habe ich darüber nachgedacht, wie wichtig und hilfreich es ist, flexibel zu sein. Als Autor*innen neigen wird manchmal dazu, uns auf unsere Arbeit als ein lineares Ziel zu fokussieren. Wir fokussieren uns darauf, dieses Buch zu schreiben und zu publizieren. Wir sind auf unseren Fokus beschränkt. Aber unser Schreiben und unsere Arbeit könnte in vielerlei Hinsicht verwirklicht werden, in Gebieten, in die wir uns nicht wagen würden, weil wir uns vielleicht nur als Lyriker*in oder belletristische*r Autor*in sehen. Wenn wir es uns erlauben würden, offen für andere Projekte zu sein, würden wir sehen, wie wertvoll dies nicht nur an Erfahrungswerten ist, sondern auch finanziell. Variiere dein Talent und beschränke deine Arbeit nicht auf ein Gebiet. Versuch dieses Theaterstück oder jene Oper zu schreiben. Sag zu, wenn du die Möglichkeit hast, diese Konferenz oder dieses Festival mitzukuratieren. Nimm die Einladung, jenes Gespräch zu moderieren, an. Vielleicht findest du dabei raus, dass es dir gefällt, oder, dass es dir nicht gefällt. Am Ende prägt alles deine Arbeit als Autor*in und der Weg könnte dich, wenn du deine Arbeit auch in einem anderen Kontext verwendest, letztlich genauso zum Ziel führen.

Was würdest du Einsteiger*innen raten, die gerne in deinem Bereich anfangen würden?

Das kommt auf das Land an. In Deutschland musst du jemanden finden, der dich in die Szene bringt, wenn du nicht auf Deutsch schreibst. Jemanden, der dir dabei helfen kann, einen Überblick über alle Ressourcen zu bekommen, die für deutsche Autor*innen leicht zugänglich sind, so wie Residenzen, Auszeichnungen, Festivals und Fördermittel. Selbst dann sind die meisten nur für Autor*innen, die auf Deutsch schreiben. Aber es gibt auch Sachen, die für Leute wie uns sind und man muss verstehen, wie man Zugang dazu bekommen kann und daraufhin lernen, wie man sich damit zurechtfindet. Allgemein kann ich empfehlen andere Autor*innen zu suchen – finde deine Community. Geh zu Events, auch wenn du die Sprache nicht beherrscht, einfach, um mit deinen Kolleg*innen zusammen zu sein. Finde eine Schreibgruppe, der du dich anschließen kannst oder gründe eine eigene. Es ist wichtig, etwas wie eine Schreibgruppe zu schaffen, wenn es da wo du bist, noch keine gibt. Vergleiche dich nicht mit anderen, jeder hat seinen eigenen Weg. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen. Und vor allem: Schreib! Schreib, als würde keiner hinschauen. Lies, als ob dein Leben davon abhängt. [vc_column width=“1/6″] [vc_column width=“5/6″][vc_separator style=“dashed“] Lubi Barre, 1982 in Paris geboren, Lyrikerin und Autorin von Kurzgeschichten. 2016 veröffentlichte sie „Goodbye“ in dem Erzählband „My Old Man“ beim Canongate Verlag und im August 2020 auf Deutsch im Heft „Here and There“ beim Punktum Verlag. Sie ist Mitorganisatorin der vierteljährlichen Lesereihe AHAB und Mitglied des Residency Writers Room. Von 2017-2020 war sie Mitorganisatorin und Co-Moderatorin der Lesereihe Hafenlesung. Derzeit ist sie Co-Kuratorin des Fluctoplasma Festivals in Hamburg.

Foto im Header: © Andreas Klingberg [vc_column width=“1/6″] Möchtest du auch deine Geschichte erzählen und Einsteiger*innen ein paar Tipps mit auf den Weg geben? Melde dich bei Philipp Böhm (philipp.boehm[at]lettretage.de) und beantworte die vier Fragen!

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